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Maschinenrichtlinie

Der „Stand der Technik“ in der Selbstverantwortung der Maschinenhersteller

Der sogenannte „Stand der Technik“ ist ein wichtiger, aber nicht ganz einfach zu fassender Begriff im Produktsicherheits- und Maschinenrecht, der in europäischen Richtlinien immer wieder auftaucht. Auch die Maschinenrichtlinie erwähnt den Stand der Technik an verschiedenen Stellen und im Zusammenhang mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen. Sie liefert jedoch keine Definition dieses wichtigen Begriffs.

Verweise in Gesetzen und Vorschriften, die sich auf den Stand technischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse und Entwicklungen beziehen, werden Technikklauseln genannt. Der Stand der Technik ist eine von drei sogenannten Technikklauseln, die oft auch als Sicherheitsstandards oder „Technische Standards“ umschrieben werden. Sie werden in Richtlinien und Normen immer wieder genannt und sind neben der Maschinen- und Produktsicherheit auch für die Arbeitssicherheit relevant.

Drei Technikklauseln – drei Sicherheitsniveaus

Anhand dieser Technikklauseln werden beim Sicherheitsniveau von Maschinen und Anlagen drei Stufen wie folgt unterschieden:

  1. die „(allgemein) anerkannten Regeln der Technik“
  2. der „Stand der Technik“
  3. der „Stand von Wissenschaft und Technik“

In dieser Reihung steigt das Sicherheitsniveau von oben nach unten. Das heißt, die Anforderungen des Standes der Technik sind weitergehender als die allgemein anerkannten Regeln der Technik, werden jedoch von den Anforderungen des Standes von Wissenschaft und Technik überboten. Die folgende Grafik macht diese Zusammenhänge deutlich.

„Stand der Technik“ ist eine zentrale Klausel in der Bewertung der Sicherheit von Maschinen. Sie steht im Sicherheitsniveau zwischen den „anerkannten Regeln der Technik“ und dem „Stand von Wissenschaft und Technik“.
Technikklauseln geordnet in Form von Medaillenrängen

Wenig hilfreiche Definitionsversuche

Juristisch eindeutige Definitionen dieser drei genannten Begriffe sind rar. Die Norm EN 45020 „Normung und damit zusammenhängende Tätigkeiten – Allgemeine Begriffe“ formuliert den Stand der Technik als

entwickeltes Stadium der technischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt, soweit Produkte, Prozesse und Dienstleistungen betroffen sind, basierend auf entsprechenden gesicherten Erkenntnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung“.

Solche wortreichen Erklärungen sind in der Praxis oft wenige hilfreich, zumal diese Definition vom Wortlaut („Erkenntnissen von Wissenschaft, Technik“) etwas verwirrend schon sehr nach der nächsten Sicherheitsstufe klingt.

Die für den betrieblichen Arbeitsschutz und das Bereitstellen von Maschinen und anderen Arbeitsmitteln durch den Arbeitgeber relevante Betriebssicherheitsverordnung liefert in § 2(10) folgende Begriffsbestimmung:

„Stand der Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme oder Vorgehensweise zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit der Beschäftigten oder anderer Personen gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Stands der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind.“

Ähnliche Formulierungen finden sich in der Gefahrstoffverordnung sowie im Umweltrecht, etwa dem Bundesimmissionsschutzgesetz oder der Störfallverordnung. Unter Juristen herrscht die Auffassung vor, dass diese Definitionen auch auf andere Rechtsbereiche, etwa das Produktsicherheitsrecht, übertragbar sind.

Was sagt die Maschinenrichtlinie zum Stand der Technik?

Für den Hersteller und Konstrukteur wichtig ist eine Formulierung in der Maschinenrichtlinie: Hier heißt es in Erwägungspunkt 14 im Zusammenhang mit den grundlegenden Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit:

… um dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Konstruktion sowie technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen Rechnung zu tragen.“

Das bedeutet, dass die Maschinenrichtlinie einerseits die Einhaltung des Standes der Technik einfordert, andererseits aber neben dem technischen Aspekt auch einen wirtschaftlichen Aspekt explizit nennt. So sehen es auch die Autoren des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Leitfadens zur Maschinenrichtlinie.

Stand der Technik, anerkannte Regel der Technik und Stand der Wissenschaft – Was ist der Unterschied?

Ein technische Anforderung einer der drei Technikklauseln zuzuordnen, ist sind nicht ganz einfach und auch nicht immer unumstritten. Etwas vereinfachend ausgedrückt haben sich folgende Interpretationen und Sichtweisen durchgesetzt:

Allgemein anerkannte Regeln der Technik

Die „Allgemein anerkannten Regeln der Technik“ gelten als Regeln, die sich in der betrieblichen Praxis über Jahre hinweg bewährt haben und allgemein, insbesondere bei den Experten und Fachgremien, anerkannt sind. Diese anerkannten Regeln gehen in Normen, Richtlinien und das technische Regelwerk ein. Daher werden z. B. VDE-Vorschriften oder VDI-Richtlinien typischerweise den anerkannten Regeln der Technik zugeordnet.

Stand der Technik

Der Stand der Technik geht über diese allgemeinen Regeln hinaus und umfasst das, was technisch in Sachen Schutz und Sicherheit möglich ist, auch wenn noch keine Langzeit-Tests vorliegen (können). Die englischsprachige Entsprechung „best available techniques“ (beste verfügbare Technik, auch als BVT abgekürzt) macht diesen Aspekt der Verfügbarkeit deutlicher. Möglich bedeutet nicht nur technisch machbar, sondern bezieht auch die Aspekte der Wirtschaftlichkeit und realistisch möglichen Umsetzbarkeit ein. Auch der Stand der Technik findet sich häufig in Normen und Industriestandards.

Nicht nur das Produktsicherheitsgesetz fordert die Einhaltung des Stands der Technik. Der Stand der Technik spielt eine große Rolle auch im Arbeitsschutz. Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Beschäftigten nach dem aktuellen Stand der Technik zu schützen. So fordern es das Arbeitsschutzgesetz und die Betriebssicherheitsverordnung (s.o.). Das heißt, die Sicherheitsverantwortlichen im Betrieb müssen sich bei den festzulegenden Schutzmaßnahmen am Stand der Technik orientieren.

Diese Forderung bezieht sich nicht nur auf die Sicherheit von Maschinen, das Funktionieren von Schutzeinrichtungen oder den Umgang mit Gefahrstoffen, sondern umfasst auch z. B. die Qualität von Arbeitskleidung oder der Komponenten der persönlichen Schutzausrüstung. Der Stand der Technik ist DER Sicherheitsmaßstab für die Beschaffenheit von Arbeitsmitteln.

Stand von Wissenschaft und Technik

Der Stand von Wissenschaft und Technik als höchste Sicherheitsstufe meint die bestmöglichen Technologien pro Sicherheit, die wissenschaftlich abgesichert und technisch machbar sind. Dieses Niveau spielt dort eine Rolle, wo ein Höchstmaß an Schutz und Sicherheit gefordert ist, etwa im Atomrecht oder in der Gentechnik.

Normen und der Stand der Technik

Eine Norm entspricht nicht zwangsläufig dem Stand der Technik. Auch ein Dokument des technischen Regelwerks kann veraltet sein und nicht mehr den aktuellen Stand der Technik wiedergeben. Entscheidender als eine Norm oder ein Regelwerk ist stets der Stand der Technik selbst. Zumindest bei den europäischen harmonisierten Normen kann man jedoch davon ausgehen, dass bei Einhalten der Vorgaben die geforderten Sicherheitsziele eingehalten werden.

Der Leitfaden zur Maschinenrichtlinie verweist auf die harmonisierten Normen, die „einen guten Hinweis auf den Stand der Technik“ bieten. Im Zweifel, etwa bei der Untersuchung nach einem Schadensfall, dürfte es für einen Hersteller wichtig sein, dass er eine umfassende Risikobeurteilung nachweisen kann. Aus dieser sollte begründet hervorgehen, ob und aus welchen Abwägungen heraus, eine bestimmte sicherheitstechnische Lösung unterlassen oder einer anderen Lösung vorgezogen wurde.

Normen müssen bei Überarbeitungen oft an den Stand der Technik angepasst werden. Dies gilt in gleichermaßen für die technischen und die berufsgenossenschaftlichen Regelwerke. Diese sind in erster Linie für die Arbeitssicherheit im Unternehmen relevant, betreffen aber im weiteren Sinne auch den Konstrukteur und den Technischen Redakteur, z. B. sobald es um technische Schutzeinrichtungen oder warnende Kennzeichnungselemente von Maschinen wie etwa Signalwörter geht.

Die Selbstverantwortung der Hersteller

Der Stand der Technik ist kein statisches Gebilde, sondern er verändert sich. Lösungen für Schutz und Sicherheit werden ständig weiterentwickelt und Produkte werden an den Stand der Technik angepasst. Das gilt auch für Maschinen und Anlagen und ihre Steuerungen (s. Foto einer Hochdruckwasserpumpe).

Konformität als Basis der Maschinensicherheit
Auch die technischen Lösungen zur Steuerung von Maschinen und Anlagen entwickeln sich weiter; Bildquelle: Thinkstock

Der Stand der Technik ist daher stets dynamisch zu verstehen, auch bei der Steuerung von Maschinen und Anlagen. Der Hersteller einer Maschine muss den technischen Fortschritt berücksichtigen und z. B. in einer neuen Modellreihe möglicherweise neue und wirksamere technische Sicherheitslösungen vorsehen als bisher.

Für den Betreiber von Maschinen wird der Stand der Technik zum Prüfstein, wenn er z. B. eine Maschine schon älteren Baujahrs oder Anlage wieder in Betrieb nehmen will. Möglicherweise entsprechen die „alten“ Vorkehrungen zum Schutz vor z. B. Lärmemissionen oder Vibrationen nicht mehr dem, was heute als technischer Standard gilt. Jetzt müssen Fragen geklärt werden, wie, ob es zumutbar – d. h. mit einem angemessenen Aufwand vertretbar – ist, eine Anpassung zu fordern. Ist eine Nachrüstung technisch überhaupt möglich und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu vertreten? Ist das nicht der Fall, muss der Arbeitgeber mit anderen Maßnahmen für den Schutz seiner Beschäftigten sorgen. Dies sind jeweils Entscheidungen, die im konkreten Einzelfall zu treffen sind.

Sicherheitstechnik allein auf Basis technischer Normen ist nicht per se ausreichend

In einem Fachbuch zum europäischen Maschinenrecht befasst sich der Autor Marcel Schator u. a. mit der Frage, wie der Stand der Technik im produktsicherheitsrechtlichen bzw. im maschinenrechtlichen Zusammenhang zu interpretieren ist. Er widmet dem Stand der Technik in seinem Werk zum europäischen Maschinenrecht ein eigenes Unterkapitel. Hier geht er näher auf die Frage ein, welche Bedeutung dem Stand der Technik im Zusammenhang mit der Erfüllung der technischen Anforderungen des Anhangs I der Maschinenrichtlinie zukommt. Der Autor erläutert, an welchen Stellen der Stand der Technik in der Maschinenrichtlinie genannt ist, was das für den Hersteller bedeutet und inwiefern dieser den Stand der Technik im Rahmen von Konstruktion und Fertigung beachten hat.

In Kurzform: Der Hersteller einer Maschine ist verpflichtet, diese nach den von der Maschinenrichtlinie gesetzten Sicherheitsmaßstäben zu konstruieren und zu fertigen. Das Anwenden harmonisierter Normen bzw. sonstiger Normen und technischer Spezifikationen bietet dafür eine gute Arbeitsgrundlage. Doch kann es vorkommen, dass diese technischen Standards wie z. B. DIN-, EN-, IEC- und ISO-Normen, VDE- und DVGW-Vorschriften:

  • nur Teilbereiche beleuchten,
  • nicht alle sicherheitstechnisch relevanten Bereiche abdecken,
  • durch die technische Entwicklung überholt sind oder gar
  • mit Fehlern behaftet sind.

In einem solchen Fall bieten die herangezogenen Normen und technischen Standards keine ausreichende Basis für die nach Anhang I der Maschinenrichtlinie geforderte umfassende sicherheitstechnische Beurteilung einer Maschine.

Die sich dadurch auftuende Lücke kann/muss durch den Rückgriff auf den Stand der Technik geschlossen werden„,

so heißt es im Fachbuch „Europäisches Maschinenrecht“.

Der Autor erläutert zudem die Verwendung des Begriffs Stand der Technik im Patentrecht und grenzt diesen vom Verständnis des Begriffs im Maschinenrecht ab, da dieses sich auf Sicherheitsaspekte konzentriert. Gemäß diesem Sicherheitsverständnis umfasst der Stand der Technik

alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen, die die in dem betreffenden Bereich und zu dem betreffenden Zeitpunkt herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich erachtet„.

Aufgrund der hohen Anforderungen an die Sorgfalt bei Neukonstruktionen ist daher der Stand der Wissenschaft zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass neben den fachlich-praktischen Kenntnissen auch theoretisch-wissenschaftliche Erkenntnisse für die Risikobeurteilung einer Maschine maßgeblich sind.

Serienfertigung: Hersteller muss technische Entwicklung im Auge behalten

Das von der Maschinenrichtlinie gesetzte hohe Sicherheitsniveau hat auch zur Folge, dass der Hersteller einer in Serie gefertigten Maschine kontinuierlich beachten muss, welche technischen Erkenntnisse im Markt bestehen. Denn es könnte sein, dass frühere sicherheitstechnisch relevante Erkenntnisse durch fortgeschrittene technische Entwicklungen zwischenzeitlich überholt sind. Der Hersteller muss sich dabei

mit aller Sorgfalt an den neuesten, ihm zugänglichen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen und Möglichkeiten

orientieren.

Wer sich für solche und andere Aspekte zum Maschinensicherheitsrecht auf europäischer Ebene interessiert, dem sei das nachfolgend genannte Fachbuch dringend empfohlen.

Das Fachbuch zum europäischen Maschinenrecht

Europäisches Maschinenrecht: Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und ihr rechtliches Umfeld

Bildquelle: WEKA Media GmbH & Co. KG

Autor: Marcel Schator

Lieferumfang: 1 Band DIN A5, ca. 900 Seiten, inkl. CD ROM

ISBN: 978-3-8111-6710-0

Best.-Nr.: CD6710

Verlag: WEKA Media GmbH & Co. KG

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