Für Hersteller technischer Produkte für den europäischen Markt sind neben der Maschinenrichtlinie und der Niederspannungsrichtlinie drei weitere Richtlinien von besonderer Bedeutung: die ATEX-Richtlinie (2014/34/EU), die EMV-Richtlinie (2014/30/EU) und die Druckgeräterichtlinie (2014/68/EU). Diese drei Richtlinien haben gemeinsam, dass sie die Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens für jeweils einen bestimmten Risikotyp erfassen: den Schutz vor Explosion, den Schutz vor elektromagnetischen Störungen und den Schutz vor Druckgefahren durch berstende Druckgeräte, Behälter, Rohrleitungen usw. Der folgende Beitrag stellt diese drei Richtlinien vor.
Alle drei Richtlinien
- fallen unter das sogenannte „Neue Konzept” der EU, d.h., sie dienen dem Angleichen und Vereinheitlichen zuvor unterschiedlicher europäischer Rechtsvorschriften.
- gehören damit zu den europaweit harmonisierten technischen Standards, die an das New Legislative Framework angepasst wurden.
- sind verbindlich für Hersteller, Importeure und Händler.
- regeln die für die jeweilige Produktkategorie geltenden Anforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz und das damit verbundene Prozedere der Konformitätsbewertung, Notifizierung usw.
- sind – wie man bereits an ihrer Nummerierung erkennen kann – zeitgleich bzw. zeitnah veröffentlicht worden.
- wurden in deutsches Recht überführt (Details s.u. in den Steckbriefen).
Die drei Richtlinien sind ähnlich aufgebaut, weisen aber auch einzelne Besonderheiten auf. So enthält z.B. die Druckgeräterichtlinie eigene Artikel zur europäischen Werkstoffzulassung und zu nationalen Betreiberprüfstellen.
Grafik: Für ein technisches Produkt können mehrere europäische Richtlinien zutreffen
Grundsätzlich gilt, dass die genannten Richtlinien sich nicht gegenseitig ausschließen. So muss z.B. die EMV-Richtlinie in vielen Fällen zusätzlich zur Niederspannungsrichtlinie angewandt werden. Genauso können Maschinen und Anlagen einerseits der Maschinenrichtlinie, andererseits der ATEX-Richtlinie unterliegen.
Quelle: Thinkstock
Die ATEX-Richtlinie 2014/34/EU
Alle technischen Geräte, die eine potenzielle Zündquelle darstellen bzw. aufweisen, können unter gegebenen Voraussetzungen wie etwa ein Luft-Staub- oder Luft-Gas-Gemisch in bestimmter Zusammensetzung eine Explosion auslösen. Diese Risiken zu beherrschen und sichere Geräte auf dem europäischen Markt zu gewährleisten, ist Ziel der ATEX-Richtlinie 2014/34/EU.
Die ATEX-Richtlinie hat im April 2016 die frühere ATEX-Richtlinie 94/9/EG abgelöst. Sie setzt die aktuell gültigen Standards für den präventiven bzw. konstruktiven Explosionsschutz. Die ATEX-Richtlinie gilt für
- Geräte und Schutzsysteme, die in explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden,
- Komponenten, die in solche Geräte und Schutzsysteme eingebaut werden, sowie für
- Sicherheits-, Kontroll- und Regelvorrichtungen, die außerhalb von explosionsgefährdeten Bereichen verwendet werden, im Hinblick auf Explosionsrisiken jedoch zum sicheren Betreiben von Geräten und Schutzsystemen erforderlich sind oder dazu beitragen.
In medizinischen Bereichen eingesetzte medizinische Geräte, Schutzsysteme gegen die Explosionsgefahr von Sprengstoffen, persönliche Schutzausrüstungen, Seeschiffe und bestimmte Fahrzeuge sind vom Geltungsbereich ausgenommen.
Die Fakten zur ATEX-Richtlinie | |
aktuelle Fassung | Richtlinie 2014/34/EU, vom 26. Februar 2014 |
aufgehobene ältere Fassungen | Richtlinie 94/9/EG |
voller Titel | Richtlinie 2014/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen |
abgekürzt als | ATEX-Richtlinie für frz. „ATmosphère EXplosibles“, zu Deutsch „Explosionsfähige Atmosphären“ (es hat sich keine eingedeutschte Abkürzung durchgesetzt) |
Aufbau | 45 Artikel in 6 Kapiteln, u.a.
plus 11 Anhänge, u.a. zu
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umgesetzt in deutsches Recht | durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) sowie
die Elfte Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Explosionsschutzprodukteverordnung – 11. ProdSV)
in Kraft getreten am 20. April 2016 (wodurch die Explosionsschutzverordnung vom 12. Dezember 1996 außer Kraft gesetzt wurde) |
Geräte, Komponenten und Schutzsysteme
Artikel 2 definiert die zentralen Begriffe dieser Verordnung wie Geräte, Schutzsysteme, Komponenten, explosionsfähige Atmosphären oder explosionsgefährdete Bereiche. Demnach fallen unter Geräte alle Maschinen, Betriebsmittel, stationäre oder ortsbewegliche Vorrichtungen, Steuerungs- und Ausrüstungsteile sowie Warn- und Vorbeugungssysteme, für die gilt:
- Sie sind einzeln oder kombiniert zur Erzeugung, Übertragung, Speicherung, Messung, Regelung und Umwandlung von Energien und zur Verarbeitung von Werkstoffen bestimmt und
- Sie können eigene potenzielle Zündquellen aufweisen und dadurch eine Explosion hervorrufen.
Als Komponenten werden Bauteile definiert, die für den sicheren Betrieb von Geräten und Schutzsystemen erforderlich sind, selbst jedoch keine autonome Funktion erfüllen.
Schutzsysteme sind alle Vorrichtungen (mit Ausnahme der Komponenten), die anlaufende Explosionen umgehend stoppen und/oder den von einer Explosion betroffenen Bereich begrenzen sollen und als Systeme mit autonomer Funktion gesondert auf dem Markt bereitgestellt werden.
Quelle: Dipl.-Ing. Rudolf Hauke: Niederspannungsrichtlinie, WEKA MEDIA
Gerätegruppen und Gerätekategorien
Besonders wichtig ist die Einteilung von Geräten in zwei Gerätegruppen und fünf Gerätekategorien. Die Aussagen hier bleiben jedoch knapp, konkreter wird die Richtlinie in Anhang I. Dieser nennt die Entscheidungskriterien für die Einteilung in
- die Gerätegruppe I mit den Gerätekategorien M 1 und M 2
- die Gerätegruppe II mit den Gerätekategorien 1, 2, und 3.
Jeder Hersteller eines Geräts, das in explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden soll, muss im Rahmen des Verfahrens zur Konformitätsbewertung nachweisen, dass sein Produkte sämtliche Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen erfüllt. Dies gilt sowohl für elektrische wie für nicht-elektrische Geräte. Anhang II konkretisiert die Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen und ist besonders umfangreich.
Die Neuerungen gegenüber der Vorläuferrichtlinie „ATEX-Produktrichtlinie 94/9/EG“ bestehen im Wesentlichen in Anpassungen an das neue europäische Rahmenrecht. Dabei mussten auch einige Formulierungen und Begriffe angepasst werden. Aus der EG-Konformitätserklärung wurde z.B. die EU-Konformitätserklärung und aus der EG-Baumusterprüfung die EU-Baumusterprüfung.
Seit dem 20 April 2016 dürfen nur noch Produkte unter ATEX 2014/34/EU mit einer EU-Konformitätserklärung dem Markt zur Verfügung gestellt werden.
Hinweis: Es gibt eine weitere europäische Richtlinie, die unter dem Begriff ATEX geführt wird. Diese ATEX-Betriebsrichtlinie (1999/92/EG) richtet sich an den Arbeitgeber bzw. den Betreiber von Anlagen mit Explosionsgefährdungen. Sie definiert die Mindestvorschriften an Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Dabei geht es um Fragen der Einteilung in Ex-Schutz-Zonen, das Erstellen eines Explosionsschutzdokuments und das Prüfen von Betriebsmitteln und Anlagen. Die Vorgaben dieser Richtlinie wurden durch die Betriebssicherheitsverordnung und z.T. auch durch die Gefahrstoffverordnung in deutsches Recht überführt. |
Grafik: Europäische ATEX-Richtlinien
Die EMV-Richtlinie 2014/30/EU
In der „Richtlinie über die elektromagnetische Verträglichkeit“ (2014/30/EU), meist abgekürzt als EMV-Richtlinie, geht es um die Störfestigkeit von elektrischen Geräten und Anlagen. Diese Richtlinie legt die grundlegenden Anforderungen an die elektromagnetische Verträglichkeit von Produkten fest. Sie betrifft
- alle elektrischen Geräte wie auch ortsfeste elektrische Anlagen, die entweder
- selbst elektromagnetische Störungen verursachen können oder
- deren Betrieb durch elektromagnetische Störungen beeinträchtigt werden kann.
Die Richtlinie legt das Niveau der elektromagnetischen Verträglichkeit fest unter der Voraussetzung, dass ein Gerät oder eine Anlage ordnungsgemäß installiert, bestimmungsgemäß verwendet und regelmäßig gewartet wird.
Die Fakten zur EMV-Richtlinie | |
aktuelle Fassung | Richtlinie 2014/30/EU, vom 26. Februar 2014 |
aufgehobene ältere Fassungen | Richtlinie 2004/108/EG |
voller Titel | Richtlinie 2014/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit |
abgekürzt als | EMV für Elektromagnetische Verträglichkeit oder
EMC für Electromagnetic Compatibility |
Aufbau | 45 Artikel in 6 Kapiteln, u.a.
plus 6 Anhänge, u.a. zu
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umgesetzt in deutsches Recht | durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) sowie
das Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (EMVG)
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Anhang I nennt die wesentlichen Anforderungen an die Störfestigkeit. Danach müssen Betriebsmittel nach dem Stand der Technik entworfen und gefertigt sein, und zwar so, dass zwei Bedingungen erfüllt sind:
- Die von ihnen verursachten elektromagnetischen Störungen müssen unterhalb der Grenzen bleiben, die den Betrieb von Funk- und Telekommunikationsgeräten oder anderen Betriebsmitteln verhindern würden.
- Die Geräte und Anlagen müssen gegen erwartbare elektromagnetische Störungen hinreichend unempfindlich sein, um selbst „ohne unzumutbare Beeinträchtigung“ arbeiten zu können.
Keine Änderungen an technischen Anforderungen
Die Neuauflage der EMV-Richtlinie von 2016 brachte keine Änderungen für die wesentlichen Sicherheitsanforderungen. Geräte, die gemäß der alten EMV-Richtlinie konstruiert und gefertigt wurden, sind in aller Regel auch konform mit den neuen Regelungen. Die EU-Konformitätserklärungen sollten jedoch mit der neuen Richtliniennummer 2014/30/EU versehen sein.
Bildquelle: WEKA MEDIA, „Elektromagnetische Verträglichkeit“
Auf nationaler Ebene relevant ist das Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (EMVG). Das EMVG setzt die Vorgaben der EMV-Richtlinie nahezu inhaltsgleich um. Damit wird in Deutschland der störungsfreie Betrieb von Funknetzen, einschließlich Rundfunkempfang und Amateurfunkdienst, Stromversorgungs- und Telekommunikationsnetzen sowie den an diese Netze angeschlossenen Geräten ermöglicht.
Das EMVG ist somit auch Grundlage für die Aufgaben der Bundesnetzagentur im Rahmen der Marktüberwachung und Störungsbearbeitung. Jeder Hersteller ist verpflichtet, mit der Bundesnetzagentur zusammenzuarbeiten. Auf Anfragen der Marktüberwachungsbehörde muss er Auskünfte geben und Informationen und Unterlagen zu seinen Produkten zur Verfügung stellen.
Grafik: Bundesnetzagentur als überwachendes Organ der EMV-Richtlinie
Die Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU
Mit Druckgeräten sind nicht etwa Geräte zum Drucken gemeint wie Laser- oder Tintenstrahldrucker, sondern unter Druck stehende Geräte. Das können Rohre sein, Behälter oder Sicherheitsbauteile, die für das Einhalten eines festgelegten Drucks sorgen sollen.
Ab 0,5 bar gilt die Druckgeräterichtlinie
Typische Druckgeräte in Industrie, Handwerk und Gewerbe sind Dampfkessel oder andere Behälter oder z.B. Kompressoren. Aber auch Feuerlöscher und unter Druck stehende Baugruppen wie etwa Rohrleitungen samt den dazu gehörenden Ausrüstungskomponenten wie Manometer, Ventile, Druckregler usw. gelten als Druckgeräte im Sinne der Druckgeräterichtlinie. Das wesentliche Kriterium dafür ist der herrschende Überdruck.
Quelle: Thinkstock
Laut Artikel 1 (2) unterliegen Druckbehälter mit einen maximal zulässigen Betriebsdruck von mehr als 0,5 bar (Überdruck) der Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU. Die Liste der Ausnahmen vom Geltungsbereich ist lang und umfasst u.a. bestimmte Fernleitungen, Luftreifen, Heizkörper, Aerosolpackungen (erfasst von der Richtlinie 75/324/EG) und einige andere technische Erzeugnisse.
Die Fakten zur Druckgeräterichtlinie | |
aktuelle Fassung | Richtlinie 2014/68/EU, vom 15. Mai 2014 |
aufgehobene ältere Fassungen | Richtlinie 97/23/EG |
voller Titel | Richtlinie 2014/68/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Druckgeräten auf dem Markt |
abgekürzt als | PED für „Pressure Equipment Directive“, auf Deutsch bisweilen als DGRL |
Aufbau | 52 Artikel in 7 Kapiteln, u.a.
plus 11 Anhänge, u.a. zu
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umgesetzt in deutsches Recht | durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) sowie
durch die Vierzehnte Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Druckgeräteverordnung – 14. ProdSV)
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Die Neuauflage der Druckgeräterichtlinie von 2016 brachte keine wesentlichen neuen technischen Anforderungen für den Hersteller und Konstrukteur. Allerdings sind die Anforderungen an eine rechtssichere Dokumentation gestiegen. Die Einstufung von Druckgeräten in Kategorien anhand der von ihnen ausgehenden Risiken muss nicht mehr wie früher nach der sogenannten Neustoffrichtlinie 67/548/EG, sondern gemäß der CLP-Verordnung vorgenommen werden. CLP steht für Classification, Labelling and Packaging und bezeichnet das neue EU-System zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung. In deutsches Recht umgesetzt wurde die Richtlinie durch die Druckgeräteverordnung.
Weitere Änderungen sind eher redaktioneller Natur, so wurde aus der Benannten Stelle die Notifizierte Stelle und aus der Gefahrenanalyse die Risikoanalyse. Die folgende Tabelle zeigt einige weitere formale Änderungen.
Quelle: WEKA MEDIA „Die neue Druckgeräterichtlinie“, Olaf Baumann
Hinweis: Verwechseln Sie die Druckgeräterichtlinie (2014/68/EU) nicht mit der im gleichen Jahr veröffentlichten Druckbehälterrichtlinie (2014/29/EU). Die europäische Richtlinie über einfache Druckbehälter wurden mit der Sechsten Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Verordnung über einfache Druckbehälter – 6. ProdSV) in deutsches Recht überführt. Sie gilt für sogenannte einfache Druckbehälter.