Die europäische Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG stammt – wie man schon an der Nummer erkennen kann – noch aus dem vorigen Jahrtausend. Das muss bei Rechtsvorschriften nicht per se ein Indiz dafür sein, dass sie nicht mehr auf alle aktuellen Gegebenheiten ausgelegt sind. Aber in der Regel lässt sich daraus durchaus ein gewisser Anpassungsbedarf vermuten.
EU-Kommission schlägt Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie vor
Insofern ist es nicht überraschend, dass die EU-Kommission Ende September 2022 eine Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie vorgeschlagen hat. Außerdem will sie erstmals spezifische Vorschriften zur Haftung für Schäden einführen, die durch KI-Systeme verursacht werden. Der Anpassungsbedarf im Bereich der verschuldensunabhängigen Produkthaftung, die in der allgemeinen Produkthaftungsrichtlinie geregelt wird, wird vor allem im Hinblick auf folgende Bereiche gesehen:
Neue Technologien
Die derzeitigen Regelungen decken nicht die Produktkategorien ab, die durch neue digitale Technologien entstehen, wie etwa Software oder intelligente und auf künstliche Intelligenz (KI) gestützte Produkte. Ebenso lässt sich nach den derzeitigen Vorschriften nicht eindeutig bestimmen, wer für Fehler bei Software-Updates, Algorithmen für maschinelles Lernen oder digitalen, für das Funktionieren eines Produkts unentbehrlichen Dienstleistungen haftbar ist.
Wesentlich veränderte Produkte
Bisher wird keine Aussage darüber getroffen, wer haftbar ist, wenn von einem Unternehmen ein bereits auf dem Markt befindliches Produkt wesentlich verändert wird. Diese Thematik ist aus dem Produktsicherheitsrecht hinlänglich bekannt. Solche Produkte gelten im Sinne der CE-Vorschriften als neu in Verkehr gebrachte Produkte. Das soll künftig auch für die Haftung gelten.
Ausweitung des Herstellerbegriffs
Bei Produkten, die aus dem Ausland eingeführt werden, war die Zuordnung eines verantwortlichen „Herstellers“ in der EU bisweilen schwierig. Die Marktüberwachungsverordnung (EU) 2019/1020 hat das für den Bereich der Produktsicherheit schon erweitert und nimmt beispielsweise auch Fulfilment-Dienstleister in die Pflicht. Das soll jetzt auch bei der Produkthaftung möglich werden.
Richtlinie über Haftung für KI geplant
Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie über KI-Haftung soll über die verschuldensunabhängige Produkthaftung auch noch eine weitergehende Haftung für Schäden eingeführt werden, die durch KI-Systeme verursacht werden. Laut EU-Kommission soll mit der neuen Richtlinie über KI-Haftung eine gezielte Reform der nationalen verschuldensbasierten Haftungsregelungen durchgeführt werden. Sie gilt
- für Ansprüche gegen jedes durch das KI-System, das den Schaden verursacht hat, beeinflusste Verschulden einer Person;
- für alle Arten von Schäden, die unter das nationale Recht fallen (einschließlich Schäden, die sich aus Diskriminierung oder Verletzung von Grundrechten wie dem Schutz der Privatsphäre ergeben);
- sowie für Klagen, die von natürlichen oder juristischen Personen eingebracht werden.
Da die Haftung eng verzahnt werden soll mit der Regelung der Verordnung über künstliche Intelligenz, die gerade ebenfalls neu entsteht, lässt sich hier noch nicht genau sagen, ob die derzeit vorgeschlagenen Regelungen auch so umgesetzt werden wie aktuell geplant.