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Risikoanalyse

„Wesentliche Veränderung“ einer Maschine: die Top-Fragen

Eine der heikelsten Fragen im Produktsicherheitsrecht betrifft die nachträgliche wesentliche Veränderung einer bereits in Betrieb genommenen Maschine. Denn in diesem Fall kann der Betreiber der Maschine juristisch gesehen zum (neuen) Hersteller werden. Welche schwerwiegenden Folgen dies hat und welches Kriterium die entscheidende Rolle spielt, erläutert der folgende Beitrag.

Warum und wodurch kommt es zur Veränderung einer Maschine?

Dass eine Maschine oder Anlage im Lauf ihres Lebenszyklus durch Umbauten, Aufrüstungen, Optimierungen, Erweiterungen usw. einmalig oder mehrfach geändert wird, ist nicht außergewöhnlich. Nachrüstungen oder andere technische Veränderungen an einer Maschine oder Anlage können aus unterschiedlichen Gründen erfolgen, z.B.:

  • die Leistungserhöhung der Maschine, z.B. durch einen stärkeren Antrieb
  • Änderung der Einsatzmöglichkeiten der Maschine durch neue technische Funktionen, z.B. durch Anfügen von Zubehör- und Anbauteilen
  • Modernisierung der Sicherheitstechnik der Maschine, z.B. durch den Einbau neuer oder zusätzlicher Schutzeinrichtungen
  • Veränderung der Maschine, dass sie neue Betriebsstoffe nutzen kann
  • Hinzufügen neuer Überwachungsfunktionen, z.B. durch Installation von neuer Steuerungssoftware oder eine Ausstattung mit Monitoren
  • Austauschen von Bedienelementen, z.B. durch digitale Eingabemöglichkeiten, Touchscreens oder drahtlose Steuerungen

Unabhängig von den im Folgenden diskutierten Fragen, inwiefern der Maschinenbetreiber in einem solchen Fall zum neuen Hersteller der Maschine wird, hat jede Veränderung einer Maschine Folgen für den Betrieb, in dem sie steht. Denn die Gefährdungsbeurteilung muss überprüft und ggf. angepasst werden. Sicherheitsvorkehrungen und Schutzmaßnahmen ändern sich entsprechend der neuen Situation. Dies kann für den Maschinenbediener zu verbesserten Arbeitsbedingungen führen, z.B. wenn modernisierte Schutzeinrichtungen den Zugang zur Maschine oder ihre Bedienung oder Überwachung erleichtern. Ergebnis der aktualisierten Gefährdungsbeurteilung kann auch sein, dass Tragepflichten für PSA wegfallen. Wenn z.B. eine zuvor lärmende Maschine eingekapselt wird ist ein ständiger Gehörschutz dann nicht mehr notwendig. Betroffene Kennzeichnungen, Betriebsanweisungen, Sicherheitsunterweisungen usw. sind zeitnah an die neuen Bedingungen anzupassen.

Wieso kann eine bereits im Einsatz befindliche Maschine plötzlich als „neu“ gelten?

Eine veränderte Maschine war in aller Regel bereits im Einsatz, es handelt sich um eine gebrauchte Maschine. Eine CE-Kennzeichnung und die technische Dokumentation liegen längst vor, das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme sind Vorgänge in der Vergangenheit. Dennoch kann ein Umbau dazu führen, dass die Maschine in juristischer Sicht zu einer „neuen“ Maschine wird. Die Maschine kann bereits deutliche Gebrauchsspuren zeigen und nachweislich schon viele Jahre problemlos im Einsatz sein. Dennoch kann sie nach einem Aufrüsten oder Umbauen als „neu“ im Sinne des Produktsicherheitsrechts angesehen werden. Oder anders ausgedrückt: Das Umbauen oder Modernisieren einer Maschine kann die Rechtmäßigkeit ihrer zuvor bestehenden CE-Konformität und CE-Kennzeichnung gefährden.

Welche Folgen hat es, wenn eine veränderte Maschine als „neu“ gilt?

Gilt eine Maschine nach einer Veränderung als „neu“ im Sinne des Produktsicherheitsgesetzes, muss diese „neue“ Maschine sämtliche Anforderungen der europäischen Maschinenrichtlinie 2006/42/EG bzw. der (deutschen) Maschinenverordnung (9. ProdSV) für das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme erfüllen. Die Maschine wird gewissermaßen – auch wenn sie bereits eine mehr oder weniger kurze Zeit im Einsatz war – aufs Neue in Verkehr gebracht. Das hat zur Folge, dass der Maschinenbetreiber die EG-Konformität der Maschine neu bewerten muss.

Der Betreiber und neue de-facto-Hersteller der Maschine muss dann mit einem nicht unerheblichen zeitlichen, personellen und finanziellen Aufwand rechnen. Er hat dann folgende Pflichten zu erfüllen:

Entscheidend für das Kriterium „neu“ ist, ob die vorgenommene Veränderung als „wesentlich“ angesehen wird.

Anhand welches Kriteriums gilt eine veränderte Maschine als „neu“?

Entscheidendes Kriterium ist: Wesentliche Veränderungen führen zu einer neuen Maschine im Sinne der Maschinenrichtlinie. Manchmal ist auch von „bedeutenden“ oder „erheblichen“ Veränderungen die Rede. In einem solchen Fall wird die Maschine als „neu“ angesehen und muss daher neu bewertet werden. Somit muss sie das komplette Verfahren zur Konformitätserklärung durchlaufen. Wichtig zum Verständnis ist, dass bei einer größeren oder komplexen Maschine keineswegs nur der akut veränderte Bereich, etwa der Antrieb oder die Steuerung, als „neu“ angesehen wird, sondern die Maschine als Ganzes. Für den Betreiber – und potenziellen ungewollten Hersteller – der Maschine ist daher entscheidend, ob die vorgenommene Veränderung als „wesentlich“ anzusehen ist oder nicht.

Ab wann gilt die Änderung einer Maschine als „wesentlich“?

Die Gesetzeswerke selbst halten sich zur Definition des Begriffs „wesentlich“ zurück und lassen den Begriff unbestimmt. Das aktuelle Produktsicherheitsgesetz verwendet den Begriff im Gegensatz zum früheren Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) nicht mal mehr. Etwas deutlicher wird jedoch ein Interpretationspapier, welches das (damalige) Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) herausgegeben hat. Dieses Papier erläutert den Begriff „wesentliche Veränderung“ wie folgt.

Interpretationspapier zur wesentlichen Veränderung von Maschinen
Erläuterungen zum Begriff „wesentliche Veränderung“, Quelle: Interpretationspapier des BMA und der Länder „Wesentliche Veränderung von Maschinen“

Wie kann man feststellen, ob die Veränderung einer Maschine als „wesentlich“ gilt?

Im Klartext zusammengefasst bedeutet das Interpretationspapier des BMAS: Die Entscheidungsgrundlage dafür, ob eine Veränderung als wesentlich gilt oder nicht, kann man erst durch eine Risikoanalyse liefern. Wenn Sie bei der Risikobeurteilung eine neue, also eine zusätzliche Gefährdung erkennen und Sie diese neue Gefährdung als erheblich einschätzen, dann handelt es sich um eine wesentliche Änderung Ihrer Maschine. Wird kein neues oder nur ein unerhebliches Risiko festgestellt, handelt es sich um keine wesentliche Veränderung. Diese Analyse der Gefahren ist bei jeder Änderung einer Maschine vorzunehmen.

Das Interpretationspapier des BMAS unterscheidet für veränderte Maschinen drei Fälle, hier etwas vereinfacht zusammengefasst:

  1. Es liegt keine neue Gefährdung vor bzw. es sind keine Risiken erhöht —> Die Maschine kann weiterhin als sicher angesehen werden, zusätzliche Schutzmaßnahmen sind nicht erforderlich.
  2. Es liegt zwar eine neue Gefährdung bzw. ein erhöhtes Risiko vor, die bereits (vor dem Umbau) vorhandenen Schutzmaßnahmen sind aber ausreichend —> Die Maschine kann nach wie vor als sicher angesehen werden, zusätzliche Schutzmaßnahmen sind nicht erforderlich.
  3. Es liegt eine neue Gefährdung bzw. ein erhöhtes Risiko vor und die vorhandenen Schutzmaßnahmen sind dafür nicht ausreichend oder nicht geeignet —> Es wird eine systematische Risikobeurteilung notwendig, um zu klären, ob eine wesentliche Veränderung vorliegt.

In Fall 3 muss geklärt werden, inwiefern es möglich ist, die veränderte Maschine „mit einfachen Schutzeinrichtungen wieder in einen sicheren Zustand zu bringen“. Trifft dies zu, gilt die Veränderung an der Maschine in der Regel als nicht wesentlich.

Entscheidungsschritte wesentliche Veränderung von Maschinen
Entscheidungsschritte – wesentliche Veränderung von Maschinen; Quelle: Interpretationspapier des BMA und der Länder „Wesentliche Veränderung von Maschinen“
Download-Hinweis: Sie finden das Interpretationspapier des BMAS und der Länder „Wesentliche Veränderung von Maschinen“ als PDF zum Download auf den Seiten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Achtung: Lassen Sie sich nicht dadurch verwirren, dass dieses Interpretationspapier teilweise veraltet klingt. Es bezieht sich an einigen Stellen noch auf das frühere Gerätesicherheitsgesetz (GSG) und die ehemalige Arbeitsmittelbenutzungsverordnung (AMBV). Inzwischen gelten statt dessen das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) und die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV). Dennoch gelten die Angaben in dem Interpretationspapier in Sachen Änderungen an Maschinen“ bis heute als zentrale Aussage zur „wesentlichen Veränderungen“ an einer Maschine.

Was gilt für veränderte Maschinen bei Eigengebrauch?

Die Frage zur Wesentlichkeit einer Veränderung betrifft auch Maschinen im Eigengebrauch. In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist § 1 des Produktsicherheitsgesetzes:

„Dieses Gesetz ist anzuwenden, wenn im Rahmen einer Geschäftstätigkeit Produkte auf dem Markt bereitgestellt, ausgestellt oder erstmals verwendet werden.

Mit dieser Formulierung wird auch die Herstellung (oder Veränderung) einer Maschine zur eigenen Benutzung erfasst. Das bedeutet, dass sich die Frage nach der Wesentlichkeit einer Veränderung an einer Maschine auch stellt, wenn eine Maschine seit vielen Jahren an gleicher Stelle in einem Betrieb arbeitet und „nur“ von den eigenen Beschäftigten nachgerüstet oder erweitert wurde.

Was sagt der Leitfaden zur Maschinenrichtlinie zum Nachrüsten gebrauchter Maschinen?

Der Leitfaden zur Maschinenrichtlinie wird von der Europäischen Kommission herausgegeben und liegt (Stand Oktober 2022) in Auflage 2.2 mit Textfassung von Oktober 2019 vor. In § 72 äußert der Leitfaden sich zu gebrauchten Maschinen wie folgt:

Grundsätzlich findet die Maschinenrichtlinie keine Anwendung auf das Inverkehrbringen gebrauchter Maschinen oder Maschinen aus zweiter Hand.“

Schon einige Sätze weiter wird diese Aussage jedoch wieder eingeschränkt und es heißt, dass sich die Frage stellt,

ab wann ein Umbau einer Maschine als Bau einer neuen Maschine gilt, welche der Maschinenrichtlinie unterliegt.

Der Leitfaden konstatiert dann anschließend, dass es nicht möglich ist, präzise Kriterien zu formulieren, die diese Frage in jedem Einzelfall beantworten. Demjenigen der eine derartige wieder aufgebaute Maschine in Verkehr bringt oder in Betrieb nimmt, wird empfohlen,

mit den zuständigen einzelstaatlichen Behörden Rücksprache zu halten.“

Was sagt der neue Blue Guide zur „wesentlichen Veränderung“ einer Maschine?

Der sogenannte Blue Guide, der Leitfaden der Europäischen Union für die Umsetzung der Produktvorschriften, befasst sich in seiner neuen Fassung von Juni 2022 intensiver als zuvor mit der Frage der „wesentlichen Veränderung“. Die Inhalte und Formulierungen dieses Leitfadens gehen über Maschinen hinaus und richten sich an Hersteller von Produkten im Allgemeinen.

Der Blue Guide konstatiert in Abschnitt 2.1, dass ein Produkt, an dem erhebliche Veränderungen oder Überarbeitungen vorgenommen wurden, um die ursprüngliche

  • Leistung,
  • Verwendung oder
  • Bauart

zu verändern, als neues Produkt angesehen werden kann. Diese Formulierung lässt offen, ob dies im Einzelfall zutrifft. Dies entspricht dem bereits oben genannten Ansatz, eine Risikobeurteilung der konkreten Maschine und ihrer Umbauten zur Grundlage der Entscheidung „neu“ oder „nicht neu“ zu machen. Für den Fall, dass die Maschine danach als „neu“ bewertet wird, formuliert der Blue Guide lapidar, dass die Person, die die Veränderungen vornimmt, „dann zum Hersteller mit den entsprechenden Verpflichtungen“ wird.

Laut Blue Guide kann ein Produkt, an dem nach seiner Inbetriebnahme wesentliche Änderungen oder Überarbeitungen vorgenommen wurden, dann als ein neues Produkt angesehen werden,

  • wenn seine ursprüngliche Leistung, Verwendung oder Bauart geändert wurde, ohne dass dies bei der ursprünglichen Risikobewertung vorgesehen war.
  • wenn sich die Art der Gefahr geändert hat.
  • wenn sich das Risikoniveau im Vergleich zu den einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union erhöht hat.
  • wenn das Produkt zur Verfügung gestellt wird (oder in Betrieb genommen wird, wenn die Inbetriebnahme ebenfalls in den Anwendungsbereich der geltenden Rechtsvorschriften fällt).

Last but not least darf man gespannt sein, inwiefern sich die kurz vor Veröffentlichung stehende neue Maschinenverordnung zur Frage der wesentlichen Änderungen einer Maschine äußern wird.

Hier finden Sie alle relevanten Informationen zur Risikobeurteilung.

2 Antworten auf „„Wesentliche Veränderung“ einer Maschine: die Top-Fragen“

Guten Tag,
muss eine Maschine denn auch Rezertifiziert werden, wenn man zu dem Entschluss gekommen ist, dass keine wesentliche Veränderung vorgenommen wurde?

Sehr geehrter Leser,

wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass keine wesentliche Veränderung vorliegt, dann hat die aktuelle CE-Kennzeichnung des Produktes weiterhin Bestand und es muss kein neues Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt werden.
Unabhängig davon kann es aber bei solchen Veränderungen nötig sein, Maßnahmen im Hinblick auf den Arbeitsschutz wegen der getätigten Änderungen anzupassen oder neu zu ergreifen. Das kann im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden. Denn auch das geänderte Produkt muss sicher bedient werden können.

Beste Grüße

Stephan Grauer

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